Wirtschaft und politische Strukturen
In diesem Kapitel stellen wir Massnahmen für eine Dekarbonisierung der Wirtschaft und eine Demokratisierung von Entscheidungsprozessen vor.

Du liest die Kurzfassung des Klimaaktionsplans. Hier kannst du das Kapitel in voller Länge lesen:
Überblick
Der Profitzwang, welcher den weltwirtschaftlichen Wettbewerb prägt, bedeutet auch ganz konkret eine Externalisierung der sozialen und ökologischen Kosten - die angerichtete Zerstörung wird in ein fernes “Aussen” abgeschoben. Das führte zu einer Korrelation zwischen dem Wirtschaftswachstum (welches den Profitzwang widerspiegelt) und der Menge an Treibhausgasemissionen in der Atmosphäre (welche für die Externalitäten steht). Mit dem Ansatz des grünen Wachstums wird davon ausgegangen, dass die Produktion von Gütern und Dienstleistungen in einem kapitalistischen System weiterhin unendlich gesteigert werden kann, während gleichzeitig die umweltbezogenen Externalitäten der Produktion gesenkt werden. Wie oben erläutert, sind diesem Ansatz Grenzen gesetzt, da die Wirtschaft weiterhin konkurrenzfähig bleiben und Gewinn erbringen muss und auch eine Dienstleistungsgesellschaft nicht vollständig entmaterialisiert werden kann. Als Alternative zum grünen Wachstum kann zur Lösung der Klimakrise die Menge der produzierten und konsumierten Güter und Dienstleistungen pro Zeiteinheit reduziert werden. Dieses Prinzip wird als Postwachstumswirtschaft bezeichnet. Wobei Postwachstum die Entmaterialisierung der Wirtschaft durch die gesteuerte Schrumpfung von Wirtschaftstätigkeiten mit konkretem Materialverbrauch (z.B. von fossilen Brennstoffen, Zement, Metallen, Mineralien, chemischen Stoffen, seltenen Erdmetallen usw.) erfordert. Postwachstum ist im Kapitalismus, wie wir ihn kennen, unmöglich, da dem Kapitalismus ein Wachstumszwang zugrunde liegt. Wie Abbildung 3 zeigt, ist die Schweizer Wirtschaft (nach BIP gemessen) erheblich gewachsen, während der Schweizer CO2-Fussabdruck (nach konsumbasierten Emissionen gemessen) sogar das BIP-Wachstum übertraf. Mit anderen Worten sehen wir momentan keine Entkopplung des Wirtschaftswachstumes vom Treibhausgasfussabdruck (“grünes Wachstum”), sondern im Gegenteil eine Entwicklung, die sogar eine Kopplung übertrifft. Die Zunahme der konsumbasierten Treibhausgasemissionen war sogar grösser als das Wirtschaftswachstum.

In der wenigen Zeit, die uns verbleibt, um netto null Treibhausgasemissionen bis 2030 zu erreichen und so unterhalb einer Erwärmung von 1.5 °C zu bleiben, muss die materielle Schweizer Wirtschaft (nach dem BIP-Indikator) in absoluten Zahlen schrumpfen, um das verbleibende CO2-Budget vor 2030 nicht aufzubrauchen. Die grösste Herausforderung ist dabei die Entmaterialisierung der Wirtschaft durch die Entkopplung wirtschaftlicher Tätigkeiten vom gegenwärtigen und künftigen Wohlergehen der Menschheit, damit unser Materialverbrauch nicht wieder wächst und der Güterkonsum schrumpft (die meisten Güter sind für unseren Lebensstandard nämlich nicht notwendig) und dies ohne wirtschaftlichen Zusammenbruch. Neue Regelungen einschliesslich Verbote bestimmter Güter werden notwendig sein, um unerwünschte wirtschaftliche Tätigkeiten schnellstmöglich zu eliminieren. Es gibt jedoch auch wichtige politische Wirtschaftsstrukturen, die überwunden werden müssten. Es besteht vor allem die Notwendigkeit einer Alternative, die den Menschen materiellen Wohlstand anbietet, ohne in Industriezweigen arbeiten zu müssen, die die Klimakrise antreiben, aber gleichzeitig die staatliche Sozialhilfe und Renten durch ihre Produktion finanzieren. Nur wenn Arbeitskräfte von der Pflicht befreit werden, ständiges Wirtschaftswachstum zu schaffen, können sie den Wandel hin zu einem radikalen Umbau der Wirtschaft vorantreiben, um die Erreichung des 1.5-Grad -Ziels zu ermöglichen.
Um einen gerechten Übergang zu einer dekarbonisierten Wirtschaft zu gewährleisten, sind mehrere Massnahmen notwendig. Ein öffentliches Programm für grüne Arbeit wird gegründet, um die Schaffung neuer Arbeitsplätze in klimafreundlichen Sektoren wie dem Bau von beispielsweise Wind- und Solaranlagen zu fördern und zu gewährleisten. Im Rahmen dieses Programms werden Unterstützungsmechanismen für Arbeitnehmende in abbaubedürftigen Branchen wie z.B. der Luftfahrt eingeführt. Ausserdem wird ein Netzwerk von lokalen Klimawerkstätten in jeder Gemeinde gegründet. Sie dienen dazu, leihbare Ausrüstung zur Verfügung zu stellen und Reparaturen, Weiterbildungen und sonstige Kurse anzubieten. Klimawerkstätte unterstützen Haushalte, Nachbarschaften, Sonderzweckvereine, Clubs, KMUs usw. dabei, sich ökologisch anzupassen, umweltfreundlich zu leben und artgerechte Lebensräume zu gestalten.
Um ein gutes Leben innerhalb ökologischer Grenzen zu ermöglichen, sind weitere Massnahmen erforderlich: Die Arbeitszeit wird bis 2030 auf 24 Stunden über vier Wochentagen (täglich sechs Stunden) reduziert, um den Materialverbrauch zu reduzieren und gute Arbeit für alle zu garantieren. Eine Gesellschaft, deren Grundlage nicht das Wirtschaftswachstum und die Anhäufung des Kapitals ist, muss die notwendige Pflege- und Betreuungsbranche drastisch erweitern, um Beschäftigung garantieren zu können. Des Weiteren soll eine bezahlte 12-monatige Elternzeit für beide Elternteile eingeführt werden.
Um ein starkes Fundament für eine nicht-wachstumsbasierte Gesellschaft zu legen, müssen Unternehmen, die von Aktionär*innen bestimmt werden, in demokratisch geführte Genossenschaften und Kooperativen umgestaltet werden. In diesen neuen Organisationsstrukturen liegt die Kontrolle bei den Arbeitenden, Lieferant*innen, Kund*innen und allen anderen, die von der Geschäftstätigkeit des Unternehmens betroffen sind, wie z.B. Menschen im globalen Süden.

Der Klima-Aktionsplan muss deshalb auf einer Grundlage von mehr und nicht weniger Demokratie gebaut werden. Während der Kapitalismus historisch zur Klimakrise beigetragen hat, kann die Demokratie - wenn sie gestärkt wird - ein Gegenmittel sein. Kurz gesagt, wir müssen uns die Demokratie wieder zu eigen machen und sie für die immensen Herausforderungen ausrüsten, die uns unmittelbar bevorstehen. Eine wichtige Herausforderung ist die Überwindung der Grenzen eines demokratischen Rahmens, der sich auf Wahlen und parlamentarischer Vertretung beschränkt. In so einem Umfeld ist der Einfluss jedes Einzelnen verschwindend gering, während einzelne Menschen mit wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Privilegien, medialer Kontrolle usw. in einer unverhältnismässig starken Position sind.
Mit mehreren Massnahmen soll die Kontrolle über die Demokratie in der Gesellschaft ausgeweitet werden: Die direkte Teilnahme aller Menschen in der Gesellschaft ist das Grundprinzip der Demokratie. Die demokratischen Rechte müssen deshalb auf alle Bürger*innen über 14 Jahre ungeachtet ihrer Herkunftsländer ausgeweitet werden. Vorgesehen ist auch eine Neudefinierung des Eigentums. Privateigentum von sozialer Wichtigkeit soll nur bis zu einem Grad privat genutzt werden, bis zu welchem die Nutzung keinen Schaden für die Öffentlichkeit verursacht - insbesondere in Bezug auf Umweltschutz und Erderhitzung. Ausserdem muss Privateigentum von sozialer Wichtigkeit für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, falls dies aus einer übergeordneten Perspektive (wie z.B. aus dringenden ökologischen und sozialen Anliegen) als notwendig erachtet wird. Ausserdem wird eine Steuer auf grosse Vermögen von über CHF 1 Million eingeführt und die Pauschalbesteuerung abgeschafft.