Seit über einem Jahr fordert der Klimastreik, dass Krisen ernst genommen werden, wir auf die Wissenschaft hören und dementsprechend reagieren. Die Coronakrise hat gezeigt, dass dies möglich ist. Wir haben gesehen, wie essentiell rechtzeitiges Handeln ist. Was vor einigen Monaten noch als unmöglich galt, wurde plötzlich innerhalb weniger Tage umgesetzt. Wir können angemessen auf Krisen reagieren, wenn der Wille da ist. Für die Überwindung der Coronakrise braucht es Solidarität und entsprechende Massnahmen. Genauso braucht es dies für die Lösung der Klimakrise. Im Falle der Coronakrise bedeutet Solidarität zurzeit einerseits zuhause zu bleiben, andererseits aber auch, den von der Krise besonders betroffenen Menschen zu helfen. Einkäufe tätigen, Kinder hüten, Briefe zur Post bringen sind Beispiele davon. Die Coronakrise sowie die Klimakrise erfordern Generationensolidarität. Deswegen rufen wir zur Solidarität auf und unterstützen Plattformen wie hilf-jetzt.ch. Da viele Hilfsbedürftige nicht online unterwegs sind, sind wir auf kreative Lösungen angewiesen, um alle erreichen zu können. Wir unterstützen auch das Solidaritätsnetzwerk von “Landwirtschaft mit Zukunft”. Bäuerinnen und Bauern können in der gleichnamigen Facebook-Gruppe ihren Bedarf an Arbeitskräften melden und werden dann mit Menschen, die in der Nähe der Höfe leben und helfen wollen, vernetzt.

Es steht ausser Frage, dass die Eindämmung der COVID-19-Pandemie zurzeit unsere oberste Priorität sein muss. Dabei darf der Weg aus der Coronakrise heraus aber nicht die Klimakrise anheizen. Um die Erderhitzung auf +1.5° C im Vergleich zur vorindustriellen Zeit zu begrenzen, sind die nächsten Jahre entscheidend.1 Deshalb dürfen Umweltauflagen keinesfalls aufgehoben werden – insbesondere die Klima- und Lärmschutzbestimmungen der Luftfahrt und anderer Branchen wie des Energiesektors, dürfen nicht aufgegeben werden. Wir unterstützen die bisher ausgesprochenen Lohnfortzahlungen, jedoch müssen wir uns als Gesellschaft fragen, in welchen Bereichen wir zur vorherigen Situation zurückkehren wollen. Sollen Unternehmen, die der Umwelt schaden, nun durch staatliche Unterstützung getragen werden?

Jede Krise trifft benachteiligte Menschen am härtesten. Heute führt die Quarantäne zu einer Zunahme der häuslichen Gewalt2, ohne dass die betroffenen Personen, vor allem Kinder und Frauen*, einen sicheren Zufluchtsort haben. Obdachlose, Personen ohne anerkannte Papiere, unbegleitete Minderjährige, Flüchtlinge und viele andere sind mittellos und sich selbst überlassen, ohne Schlafplatz, manchmal ohne Nahrung. Wir wollen eine solidarische Gesellschaft, die schwierige Situationen berücksichtigen und verletzliche Menschen bei der Bewältigung künftiger Krisen schützen kann.

In der Schweiz entsprechen die sanitäre Situation der Asylsuchende nicht dem humanitären Völkerrecht und den geltenden Gesundheitsempfehlungen. Es müssen menschenwürdige Lebensbedingungen und angemessene Gesundheitsdienste gewährleistet werden, damit die gesamte Bevölkerung Zugang zu menschenwürdigen Lebensbedingungen und zu, auch den am meisten gefährdeten Menschen, hat.

Zurzeit werden über 20’000 Menschen in Flüchtlingslagern auf griechischen Inseln wie Moria festgehalten.3 Viele sind vor dem Bürgerkrieg in Syrien geflohen. Eine der Ursachen des Krieges war eine schreckliche Dürre im Jahr 2007.4 Die sanitären Bedingungen in den Lagern sind prekär. Es gibt nur während wenigen Stunden am Tag fliessendes Wasser und die Anzahl der Wasserhähne ist nichtig im Vergleich der Zahl der Menschen. Physische Distanz zu anderen Menschen in den Flüchtlingslagern kann unmöglich eingehalten werden. Der Zugang zu den Lagern ist für viele NGO-Mitglieder zu gefährlich, unter anderem wegen wiederholter Angriffe faschistischer Gruppen auf sie.5 Unzählige Jugendliche und Kinder begehen Suizid, weil sie keinen Ausweg mehr sehen.6 Die Flüchtlingslager sind nicht auf einen Ausbruch von COVID-19 vorbereitet, weshalb ohne klare Paradigmenwechsel die erwartete Infektionsrate sehr hoch ist.7 Doch wegen Covid-19 und der politischen Lage wird ihnen kein Asylrecht gewährt, so dass sie weiterhin in unzumutbaren Bedingungen dem Virus schutzlos ausgeliefert sind.

In 30 Jahren werden bis zu 250 Millionen Menschen aufgrund von Dürre, Naturkatastrophen oder daraus resultierenden Konflikten aus ihrer momentanen Heimat vertrieben werden.8 Schon heute kommen einige Regierungen ihren Verpflichtungen im Hinblick auf die Menschenrechte von Flüchtlingen nicht nach. Zudem werden Klimakatastrophen nach schweizerischem oder internationalem Recht nicht als Asylgrund anerkannt. Da die Klimakrise bereits im Gange ist, müssen wir bereit sein, allen Flüchtlingen, auch den durch das Klima Vertriebenen, ein menschenwürdiges Leben zu garantieren, um unsere humanitären Pflichten zu erfüllen.

Aktuell kämpfen unter anderem Krankenhauspersonal, Verkaufspersonal, Reinigungs- und Lieferpersonal an der Front gegen COVID-19. Dennoch werden diese Berufe nicht genug wertgeschätzt. Der Gesundheitssektor ist seit einigen Jahren sogar von massiven Sparmassnahmen betroffen.9 Darüber hinaus werden die oben genannten Arbeitsplätze, die meist von Frauen* besetzt sind, oft sehr schlecht bezahlt. Vielen ArbeitnehmerInnen wie unter anderem Selbständigen, BereitschaftsarbeiterInnen, grau oder schwarz Arbeitenden oder ”uberisierten” Arbeiter*Innen ist die Möglichkeit, Kurzarbeit zu beantragen, nicht gegeben.

Die Klimakrise hat bereits und wird noch Auswirkungen auf die Arbeitswelt haben, sei es mit steigenden Temperaturen auf Baustellen oder mit Unwettern, die die Ernten zerstören. Krisenzeiten zeigen daher die Notwendigkeit für das Intaktbleiben unserer Gesellschaft, jedem Mensch das Recht auf einen fairen Lohn in einer gesunden Umwelt zu ermöglichen.

Wegen Lohnkürzungen oder Kündigungen können zurzeit sehr viele Menschen trotz des vom Bundesrat ausgesprochenen finanziellen Rettungspakets ihre Miete nicht mehr bezahlen. Ein Dach über dem Kopf zu haben ist ebenfalls ein Menschenrecht und muss auch in der Coronakrise garantiert werden. Der Mietstreik ist ein seit über einem Jahrhundert bewährtes Mittel zur Bekämpfung der Prekarität und der Verschuldung der Haushalte.10 Eine Ursache für die Klimakrise ist Land Grabbing. Besonders in Zeiten von tiefem Wirtschaftswachstum gewinnt die Gewinnung von Profiten durch Miete an Bedeutung.11 Mit Boden darf nicht weiterer Profit erzielt werden, dies kann Mensch und Umwelt schaden.

Ernährungssouveränität ist in Krisenzeiten besonders wichtig. In Zeiten COVID-19s steht der Agrarsektor vor neuen Problemen. Durch die vom Bundesrat beschlossene Aufhebung der Wochenmärkte werden den Kleinproduzent*Innen direkte Vertriebswege vorenthalten. Ausserdem waren die Produzent”Innen bisher auf billige ausländische Arbeitskräfte angewiesen, die heute nicht mehr zur Verfügung stehen. Daher sind die Bauern auf Solidarität angewiesen und Klimastreikende helfen deshalb direkt mit auf gewissen betroffenen Höfen. Es muss eine langfristige Lösung gefunden werden, da die Schweiz im Falle eines Importmangels kaum in der Lage wäre, sich selbst zu ernähren. Die Ernährungssouveränität, die in den Westschweizer Kantonen (Genf, Vaud, Jura, Neuchâtel) eine Zustimmungsvotum erhalten hat, stellt eine Lösung sowohl für die Produzenten als auch für die KonsumentInnen in der Schweiz dar. Der Umstieg auf lokale und agro-ökologische Produktionsweisen würde die Treibhausgasemissionen reduzieren und unsere Abhängigkeit von Lebensmittelimporten verringern.

***Jede Krise verstärkt bereits existierende Ungleichheiten. Die aus dem COVID-19 resultierende Krise gibt uns in vielerlei Hinsicht einen Vorgeschmack auf das, was eine ungebremste Klimakrise zur Folge haben könnte. Klimagerechtigkeit heisst unter anderem, dass Massnahmen gegen die Klimakrise darauf abzielen soziale und ökonomische globale Ungerechtigkeiten zu beseitigen, und dass nach dem Verursacherprinzip die Länder und Akteure, die am meisten zur Klimakrise beitragen auch die grösste Verantwortung dafür tragen. Das bedingt unter anderem das Ernstnehmen der Wissenschaft, rechtzeitiges Handeln und damit netto null Emissionen bis 2030 in der Schweiz. Die Erderhitzung bedroht nicht nur die Umwelt, sondern auch die Menschenrechte der heutigen und zukünftigen Generationen. Der Klimastreik setzt sich für die Verhinderung von Leid durch die Klimakrise, Klimagerechtigkeit und das 1.5° C Ziel ein.

Doch wir stellen uns auch gegen das durch bestehende ökonomische und politische Verhältnisse verursachte Leid, welches nun wegen der Coronakrise noch deutlicher zum Vorschein kommt. Solidarität, wie wir sie während der Covid-19 Krise sehen, ist grundlegend, um alle Formen der Unterdrückung zu beseitigen und eine Welt der sozialen Gerechtigkeit und Klimagerechtigkeit zu erreichen.***